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Carhartt – Mongolei Tour

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Als der Archäologiestudent und Skatefotograf Jo Hempel 2003 in Ulaanbaatar einen gigantischen Skatepark entdeckte, verspürte er den damals ausgefallenen Wunsch einen Skatetrip in ein exotisches Land zu organisieren, wo gerade mal ein paar wenige Pioniere auf Skateboards unterwegs waren, die sie sich auf kreativem Weg beschafft hatten. Zurück in Bonn verführte er also Lars Greiwe von Carhartt die Expedition in den Fernen Osten zu finanzieren und ein Team von Skatern, Fotografen und Filmern auf die Reise in die Mongolei zu schicken – ein Land dem bereits damals ein drastischer Wandel kurz bevorstand. 2004, drei Wochen bevor die Gruppe anreiste, wurde der Skatepark abgerissen und so nahm das Abenteuer Mongolei damals seinen Lauf, das durch das Buch „Dirt Ollies“ und den Film „Mongolian Tyres“ dokumentiert ist. Zehn Jahre später hatte sich das Land so sehr verändert, dass Bertrand Trichet eine neue Crew zusammenstellte um nachzuschauen, was aus dem Land und der damals jungen Skateszene geworden ist – diesmal mit an Board: der Architekt und Mongolei-Kenner Nicola Delon und Landschaftsfotograf Cyrille Weiner. Deren drei unterschiedliche Perspektiven auf den Trip haben wir im Interview festhalten können.

Bertrand, seit 2004 wusstet ihr, dass Skaten in der Mongolei ein schwieriges Unterfangen ist. Was war deine Motivation trotzdem noch mal zurückzugehen?

Bertrand: Naja, es war schwierig, aber an erster Stelle auch interessant. Der Hauptgrund war einerseits, dass der erste Trip genau zehn Jahre zurückliegt, und andererseits wusste ich, weil ich mich immer konstant für das Land interessiert habe, dass es in den letzten zehn Jahren eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaften der Welt hatte, was natürlich auch zu vielen Veränderungen im Land geführt hat. Deswegen waren wir neugierig, wie es da heute aussieht. Und in der Geschichte des Carhartt Skateboard Department war das Mongolei-Projekt eines der größten, das die Leute sehr mochten, also war es immer im Hinterkopf noch mal zurückzugehen.

Bei der Mongolei denken die meisten an grüne Felder mit Nomaden in ihren Jurten [traditionelle runde Zelte; Anm. d. Red.]. Beschreibt doch mal die Veränderungen, die die Mongolei gerade charakterisieren.

Nicola: Die Mongolei ist vielleicht das letzte Land, das wirklich urbanisiert wurde. Das traditionelle Nomadentum wurde im letzten Jahrzehnt in städtische oder vorstädtische Siedlungen transformiert. Die Jurte beschleunigt diesen Wandel, weil die ländlichen Leute in nur einem Tag urban werden, eben durch diese Jurten-Siedlungen. Ulaanbaatar hat mittlerweile ungefähr eine Einwohnerzahl von 1,5 Millionen Leuten und wächst ständig.

Cyrille: Es ist offensichtlich, dass sich Ulaanbaatar in den letzten zehn Jahren mehr verändert hat als in den Tausenden von Jahren seiner Geschichte. In den letzten Jahrzehnten musste die Mongolei sehr schwere Winter [Dsuds; Anm. d. Red.] überstehen. Ziemlich viele Nomadenfamilien haben ihre Herde dabei verloren und sind nach Ulaanbaatar gezogen. Aber diese Nomaden waren nicht ausgebildet und konnten keine Arbeit finden, obwohl Rohstoffe in der Mongolei entdeckt wurden und das Land auch viel Potential hat, was die Landwirtschaft betrifft. Diese ganzen Ressourcen ziehen ausländische Investoren an, aber es scheint so, als ob die Einnahmen nicht der Mongolei zugutekommen, weil das System korrupt ist.

Wie können diese Entwicklungen im alltäglichen Leben wahrgenommen werden?

Cyrille: Wir hatten das starke und traurige Gefühl, dass die Mongolei das Schlimmste der Westernisierung abbekommt. Es gibt eine Reaktion auf die vorherige Besatzung des Landes durch die Sowjets, was bedeutet, dass die Jugend von dem abendländischen Leben angezogen wird. Das Problem ist nur, dass diese Veränderungen sehr schnell vonstattengehen. Eine Generation. Das ist einfach zu schnell, um eine Kultur mit einer gesunden Mischung aus der mongolischen und unserer abendländischen zu erschaffen.

Nicola: Ein Bild, das wirklich bei mir hängen geblieben ist, war die Begegnung eines Hummers mit einer Jurte. Man kann sich keinen größeren Gegensatz vorstellen: Die Karikatur der modernen Welt vs. ein Jahrtausende altes Objekt, was dafür gemacht wurde schnell transportiert zu werden und leicht und billig zu sein.

Bertrand: Ein weiterer Unterschied ist die moderne Kommunikation. Sogar in den ländlichen Gegenden hat jeder ein Handy. Damals konnten die jüngeren Leute nur ein paar englische Wörter und jetzt ist es komplett anders, weil die Welt durch das Internet offensteht. Manche dieser Veränderungen sind positiv, manche aber auch nicht. Aber am Ende sind die Veränderungen unvermeidlich. Wenn du vor zehn Jahren über die Steppen geflogen bist, konntest du nichts außer dieser schönen Natur sehen. Jetzt sieht man künstliche Strukturen von der neuen Landwirtschaft, die auf den wunderbar grünen Feldern aussehen wie Narben. Aber man muss sich auch überlegen, was mit Europa passiert ist. Wir haben dasselbe bereits vor Jahrhunderten gemacht. Es ist immer einfach zu sagen: „Die haben es verkackt.“ Es ist normal, dass sie denselben Weg gehen. Genau das gilt auch für die Leute auf dem Land. Westler tendieren dazu romantisch zu sein und denken, dass es besser war, als die Locals in der Natur gelebt haben. Manchmal ist es komisch Kids auf dem Land zu sehen, die aussehen wie Hip-Hopper. Man fragt sich: „Warum bezieht er sich auf eine städtische Kultur?“, doch natürlich nehmen sie all die Sachen an, die verfügbar sind.

In Carhartts erster Dokumentation von 2004 wurde die Mongolei Absurdistan genannt. Gilt das noch?

Bertrand: Ich denke schon, auch wenn wir diesmal nicht so viel Ärger hatten. Ich glaube, es ist sicherer geworden. Aber vielleicht ist es heute absurder denn je, weil die Mongolei eben ein früheres Sowjet-Land ist, das sich sehr schnell dem Kapitalismus zugewandt hat. Zum Beispiel: Es gibt eine Skateboardvereinigung, die von einem Typen geleitet wird, der in New York lebte und die haben die mongolischen X-Games organisiert, was ein Riesenevent in einem Disney Park war. Selbst wenn es mit unserem Standard verglichen ein Dorf-Contest war, war es trotzdem eine große Sache. Und dann realisierst du wie absurd es ist, dass die meisten Leute in dem Land noch in Zelten leben und nebenan ein Ding namens X-Games in einem Vergnügungspark stattfindet.

Abgesehen von den X-Games – wie hat sich die Skateszene seit eurem letzten Besuch entwickelt?

Bertrand: Also erst mal muss ich sagen, dass es Skateboarding schon vor 2004 in Ulaanbaatar gab. Aber ich habe 2013 eine Doku der Locals gesehen und die haben erzählt, dass sie das Dirt Ollies-Buch, das wir nach unserem Trip 2004 gemacht haben, entdeckt haben und dachten: „Scheiß drauf, es ist möglich. Es ist zwar nicht Kalifornien, aber diese Typen aus Europa waren hier und sind auch alles geskatet. Also ist es nicht so verrückt.“ Und ich war gestoked zu sehen, dass manche richtig gut geworden sind. Darüber hinaus hat sich natürlich wie gesagt das Stadtbild verändert. Viele Orte sind jetzt skatebar. Es gibt große neue Plätze. Die Mittelschicht wächst, was bedeutet, dass sich mehr Leute Skateboards leisten können. Dann gibt es Eddy, der etwas bewegen wollte, weswegen er die Mongolian Skateboard Association gegründet hat. Wir haben auf jeden Fall neue Skateboarder in Ulaanbaatar getroffen und haben auch von anderen in kleineren Städten gehört. In Ulaanbaatar gibt es auf jeden Fall mehr als 100 Skateboarder und es ist eine riesige Familie.

Fotos von Cyrille Weiner

Du warst als Einziger mit auf beiden Trips. Warum?

Bertrand: Naja, das war wirklich eine schwere Entscheidung um ehrlich zu sein, weil es Teil der Idee war, zu den Spots von damals zurückzugehen und dieselben Leute einzupacken, aber Leute wie Pontus sagten: „2004 war echt eine großartige Erfahrung, es war aber auch echt hart und ich würde das lieber so als Souvenir behalten und es nicht noch einmal versuchen.“ Andere waren motiviert mitzukommen, aber im Endeffekt habe ich mir gedacht, dass es schon eher eine einmalige Sache ist und deswegen habe ich die Entscheidung getroffen neue Leute mitzunehmen. Es gab immerhin auch neue Leute im Team und die sollten auch die Möglichkeit bekommen die Mongolei zu erfahren. Dasselbe galt für das Media Team. Es ist eine neue Generation mit einem neuen Blick, also wollten wir sehen, was sie abliefern. Ich habe probiert mich so gut es geht aus der Produktion herauszuhalten und nur die Orga zu machen. Und es war großartig zu sehen, wie meine Freunde dieselben Erfahrungen machten, wie ich 2004.

Nicola, du als Pariser Architekt ohne Skateboard-Hintergrund – warum hast du die Gruppe begleitet?

Nicola: Die Idee war, sich die urbane Transformation anzuschauen und aufzuzeigen, wie die Skater mit dieser Transformation verbunden sind. Wir haben uns auf drei Spots fokussiert und davon sensitive Karten realisiert [siehe From Dirt to Dust; Anm. d. Red.], die beschreiben, wie sich der Spot ins Stadtbild einfügt und der Raum von Skatern und Passanten genutzt wird.

Einer dieser Spots war Fifth School. Was ist an dem Spot so besonders?

Nicola: Als Architekt habe ich die Elemente betrachtet, die Fifth School zu einem guten Spot machen, was sehr interessant war, weil ich eine Verbindung zu vielen verschiedenen Elementen gefunden habe. Ich habe realisiert, dass die Stadt für Skateboarder in erster Linie der Boden ist. Je nachdem ob Stein, Beton oder Asphalt, es bedeutet immer eine andere Landschaft für sie. Das zweite Element war etwas, was ich „Event“ nenne. „Events“ auf öffentlichem Raum: Schrägen, Treppen, Bänke, urbane Möbel eben. Und das Dritte ist etwas komplizierter. Skateboarding ist etwas, das du machst und dir anschaust. Also sollte es Elemente geben, die es den Leuten ermöglichen sich anzuschauen, was passiert. Das bedeutet, eine kleine Mauer, egal ob skatebar oder nicht, wird nützlich sein um abzuhängen und den Leuten beim Skaten zuzugucken.

Was ich interessant finde, ist, dass Skater diese dritte Ebene zu schätzen wissen, ohne wirklich darüber nachzudenken, weil sie so sehr auf die erste und zweite Ebene konzentriert sind. Die beliebtesten und bekanntesten Spots der Welt wie MACBA in Barcelona oder Love Park in Philadelphia oder früher die Domplatte in Köln haben diese dritte Ebene.

Nicola: Ich verstehe. Weil ich kein Skater bin, habe ich versucht die Dinge, die Skateboarding ausmachen, von einer Außenperspektive festzuhalten. Deswegen habe ich geschaut was passiert, versucht es zu verstehen und es auch selbst versucht. In der Mongolei gibt es außerdem noch einen anderen wichtigen Faktor – Klimaverhältnisse. In einer Stadt wie Ulaanbaatar mit extrem heißen Sommern und kalten Wintern braucht es Spots, die wenigstens ein bisschen vor dem Wetter schützen.

Für mich ist Skateboarding so etwas wie eine körperliche und mentale Verbindung zu der Umgebung

Jetzt wissen wir, warum Fifth School einer der beliebtesten Spots in Ulaanbaatar ist, aber er ist gleichzeitig ein gutes Beispiel dafür, was dir an Skateboarding gefällt.

Nicola: Das stimmt. Was wirklich interessant an dem Spot ist, ist, dass du komplett ohne Grund und ganz plötzlich diese pure Designer-Geste hast, verkörpert durch die Sitzbänke. Die sind wirklich überraschend. Das Design, das Material, warum sie dort platziert wurden. Die Schräge, die jede Sitzbank auf einer Seite abschließt, ist fantastisch und ich bin mir zu 100% sicher, dass sie vollkommen willkürlich ist. Zu keinem Zeitpunkt wird sich der Designer gedacht haben: „Oh, ich pack’ das jetzt hier hin, damit die Leute das auf diese Art benutzen.“ Das ist großartig und genau das, was ich an Skateboarding entdeckt und lieben gelernt habe: Es ist wie ein Entwicklungsbad, im fotografischen Sinne, für urbane Geometrie. Skateboarding folgt der Geometrie, es folgt der städtischen Landschaft. Wenn du dabei zuschaust, kannst du die Stadt auf eine bestimmte Art spüren, ob es jetzt eine schnelle oder langsame Stadt ist zum Beispiel. Es funktioniert ungefähr so wie ein Orientierungspunkt, denke ich. Für mich ist Skateboarding fast so etwas wie ein Marker für den Typ und die Qualität des öffentlichen Raums. Der Punkt ist, dass man als Architekt Dinge in dem Wissen kreieren sollte, dass Leute sie sich zu eigen machen, da man ja immerhin die Arbeit für den öffentlichen Raum macht. Design und Kreation sind eher der Ausgangspunkt als das Ende selbst, denke ich.

Gibt es Parallelen zwischen Skateboard- und Landschaftsfotografie?

Cyrille: Ich finde viele Ähnlichkeiten zwischen Skateboard- und meiner urbanen Architektur- und Landschaftsfotografie. Ich bin mit meiner Umgebung sehr verbunden, mental wie auch physisch. Herumschauen und empfindsam sein für die Dinge um mich herum, um mich selbst in einem Foto auszudrücken, ist dem Skaten selbst schon sehr nahe.

Fotos von Percy Dean

Ich weiß, dass du vor dem Trip eine Menge Skatefotos und -videos angeguckt hast und jetzt warst du selber Teil einer Skatetour. Worum, denkst du, geht es im Skateboarding?

Cyrille: Für mich ist Skateboarding so etwas wie eine körperliche und mentale Verbindung zu der Umgebung. Es ist eine Art in der Welt zu sein, die Welt zu deinem Spielplatz zu machen. Es ist aktiv sein. Es ist dankbar, indem es Qualität an Orten findet, die von den meisten Leuten nicht einmal angeschaut werden.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem traditionellen Nomadenleben mancher Mongolen und Skateboardern?

Cyrille: Professionelle Skateboarder sind auf jeden Fall wahre Nomaden. Sie sind immer unterwegs und viele von ihnen haben noch nicht mal ein wirkliches Zuhause. Aber diese Lebensweise ist weit entfernt von den Nomaden, die wir in der Steppe getroffen haben, die mehrmals im Jahr ins Landesinnere ziehen mit all ihren Sachen und Herden. Skateboarder sind Freizeitnomaden, Mongolen auf dem Land sind Arbeitsnomaden.

Was für Probleme treten auf, wenn beide Gruppen aufhören sich zu bewegen?

Nicola: Die Unanpassbarkeit der Jurten an das urbane Leben ist offensichtlich. Es funktioniert perfekt auf dem Land: Du lässt dich irgendwo nieder und ziehst nach zwei Monaten weiter. Aber wir haben angefangen etwas zu beobachten, was wir „die letzte Reise der Jurte“ genannt haben, wenn Nomaden gezwungen sind, sich in den Jurten-Siedlungen in Ulaanbaatar niederzulassen. Was wir herausgefunden haben, war ziemlich brutal: Wenn du fünf Jahre lang das gleiche Loch im Boden als Toilette benutzt ohne weiterzuziehen, wirst du das Grundwasser verschmutzen und letztendlich deine Familie mit Bakterien vergiften. Dadurch, dass sie jetzt statisch werden, funktioniert die Jurte nicht mehr vernünftig und eine damals großartige Erfindung wird zur Last.

Cyrille: In Bezug auf Skateboarder oder andere Leute, die umherziehen und dann damit aufhören, ist es immer eine schwere Sache. Der Körper und der Geist haben sich an dieses Leben angepasst und ich denke, ohne neue Skatespots ist es schwierig sich weiterzuentwickeln ohne sich zu langweilen. Von Ort zu Ort zu ziehen ist für beide Gruppen eigentlich essentiell.

Cyrille, was war für dich die wichtigste oder intensivste Erfahrung des Trips?

Cyrille: Ich war fasziniert von der Beteiligung und Entschlossenheit, die Skateboarder, Fotografen und Filmer haben, wenn es darum geht Tricks einzutüten. Das ist nichts, was man sieht, wenn man sich ein Skatefoto oder Video anguckt. Es kann zehn, zwanzig Versuche oder noch länger dauern, bis man ein gutes Foto hat. Manchmal habe ich mich gefragt: „Was mache ich hier eigentlich?“ Jerome Campbell hat sich, eine Stunde bevor sein Flug nach London ging, den Fuß gebrochen, als er ganz entspannt gefahren ist um die Zeit totzuschlagen. Den Tag zuvor hat er mich noch mit seiner beispiellosen Risikobereitschaft beeindruckt. Das hat mich am Ende des Trips an unsere Zerbrechlichkeit und die Unberechenbarkeit des Lebens erinnert. Die wichtigste Erfahrung des Trips war aber definitiv die Beteiligung jedes Crewmitglieds an der ganzen Sache: Skater, Regisseur, Fotografen, Filmer, Schreiber und unser beeindruckender Busfahrer [der ein eigenes Interview im Buch hat; Anm. d. Red.].

Vielen Dank an Nicola Delon, Cyrille Weiner sowie Joseph Biais und Bertrand Trichet von Carhartt. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich das Buch „From Dirt to Dust“ mit dem Film „Out of Steppe“ von Stephen Roe besorgen. Das Buch zur Tour haben wir übrigens einer ausführlichen Literaturkritik unterzogen und für gut befunden
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